Kurz kommentiert
Kindergrundsicherung – FDP-Finanzobmann irritiert mit eigenwilligen Berechnungen
06.03.2023 | Mit der im Koalitionsvertrag der Ampel verankerten Kindergrundsicherung sollen ab 2025 verschiedene sozialpolitische Leistungen für Familien gebündelt werden. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) veranschlagt für das Projekt einen Finanzbedarf in Höhe von rund zwölf Milliarden Euro. Finanzminister Christian Lindner (FDP) rechnet dagegen mit einem zusätzlichen Finanzbedarf in einstelliger Milliardenhöhe.
Lindners Parteikollege Markus Herbrand – finanzpolitischer Sprecher und Obmann im Finanzausschuss für die FDP-Bundestagsfraktion – machte am Wochenende in einem Gastbeitrag für die Wirtschaftswoche eine recht eigenwillige Rechnung auf. Folgt man seiner Logik, so widerspricht er – entgegen seiner eigentlichen Intention – nicht nur seinem Chef, sondern überbietet auch den von Lisa Paus angemeldeten Finanzbedarf. Doch der Reihe nach.
Sowohl für Lindner als auch für Herbrand schießen die von Familienministerin Paus vorgelegten Eckpunkte und die von ihr und ihrer Partei geforderten Milliardenbeträge über das Ziel hinaus. Herbrand wörtlich: »Bereits jetzt stellt die Ampel-Koalition ärmeren Familien mit der Kindergelderhöhung, den höheren Regelsätzen in SGB II und XII, dem Kindersofortzuschlag und einem erhöhten Kinderzuschlag zusätzlich bis zu 116 Euro im Monat und pro Kind zur Verfügung.«
Wie um alles in der Welt aber kommt der Betrag von bis zu 116 Euro pro Kind und Monat zustande? – Verglichen wird die Höhe der einschlägigen Transferleistungen im Jahr 2023 mit dem Stand vom Juni 2022. In diesem Zeitraum wurde das Kindergeld für das erste und zweite Kind um 31 Euro erhöht, der Kinderregelsatz für Jugendliche stieg um 44 Euro und der Maximalbetrag des Kinderzuschlags legte um 41 Euro zu. Unterm Strich also ein rechnerisches Plus von 116 Euro pro Monat und Kind.
Transferleistung | Juni 2022 in Euro/M | 2023 in Euro/M | Erhöhung in Euro/M |
Kindergeld 1. und 2. Kind | 219 | 250 | 31 |
Kindergeld 3. Kind | 225 | 250 | 25 |
Kindergeld ab 4. Kind | 250 | 250 | 0 |
Kinderregelsatz vom 15. bis zur Vollendung des 18. Lj. | 376 | 420 | 44 |
Kinderregelsatz vom 7. bis zur Vollendung des 14. Lj. | 311 | 348 | 37 |
Kinderregelsatz bis zur Vollendung des 6. Lj. | 285 | 318 | 33 |
Kindersofortzuschlag (SGB II / SGB XII) | 0 | 20 | 20 |
Kinderzuschlag (Maximum) | 209 | 250 | 41 |
Summe Erhöhungen (Maximum) | - | - | 116 |
Der Haken an Herbrands Summenbildung: Kein einziges Kind kann nach geltendem Recht alle genannten Leistungen additiv erhalten:
- Kindergeld wird auf den Regelbedarf des Kindes (Kinderregelsatz) in voller Höhe angerechnet – eine Erhöhung des Kindergeldes ist für Kinder im Bezug von Bürgergeld (SGB II) bzw. Sozialhilfe (SGB XII) ein Nullsummenspiel.
- Andererseits setzt ein Anspruch auf Kinderzuschlag die Überwindung bzw. Vermeidung von Hilfebedürftigkeit nach SGB II voraus. Der gleichzeitige Bezug von Bürgergeld und Kinderzuschlag ist demnach nicht möglich.
Herbrands Summenbildung ist nach gegenwärtigem Rechtsstand also Unsinn. – Sollten allerdings die sozialrechtlichen Leistungsansprüche künftig nach Herbrands Rechen-Logik (Parallelbezug und ohne gegenseitige Anrechnung) ausgestaltet werden, so läge der finanzielle Mehrbedarf selbst ohne das Ampel-Projekt »Kindergrundsicherung« deutlich im zweistelligen Milliardenbereich.
AltersrentnerInnen in der Grundsicherung
23.01.2023 | Am 22. Januar 2023 las man im RND: »Linksfraktionschef Bartsch kritisiert: Immer mehr Rentner sind auf Grundsicherung angewiesen«. Die Kritik basiert auf Daten des Statistischen Bundesamtes, die die Bundestagsfraktion der Linken erfragt hat; Daten, die im Übrigen auch der breiteren Öffentlichkeit jederzeit über GENESIS-ONLINE
zur Verfügung stehen.
Danach ist die Anzahl der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherung im Alter nach SGB XII allein von Juni bis September 2022 innerhalb von drei Monaten von 628.570 auf 647.515 gestiegen. Das sind 18.945 Personen mehr. Im Vorjahresvergleich zum September 2021 sind es sogar 68.420 Personen mehr, was einem Anstieg von rund 12 Prozent entspricht (vgl. unteren Tabellenteil).
Seit Inkrafttreten des Grundsicherungsgesetzes (GSiG) 2003 hat sich die Anzahl älterer BezieherInnen (ab Alter 65 bzw. seit 2012 ab Regelaltersgrenze) von Grundsicherung im Alter deutlich erhöht – wobei in den Jahren 2003 und 2004 von einer Untererfassung der GSiG-Fälle auszugehen ist, da viele Hilfebedürftige noch in der BSHG-Statistik geführt wurden.
Jahr* bzw. Monat | Personen im Alters-GruSi-Bezug insgesamt | davon mit Bezug einer Altersrente | dito in Prozent | Anteil GruSi beziehender RentnerInnen an allen Inlandsrenten wegen Alters ab RAG ** in Prozent |
2003 | 257.734 | 158.269 | 61,4 | 1,2 |
2004 | 293.137 | 180.773 | 61,7 | 1,3 |
2005 | 342.855 | 218.105 | 63,6 | 1,5 |
2006 | 364.535 | 237.989 | 65,3 | 1,6 |
2007 | 392.368 | 260.372 | 66,4 | 1,8 |
2008 | 409.958 | 270.909 | 66,1 | 1,8 |
2009 | 399.837 | 271.749 | 68,0 | 1,8 |
2010 | 412.081 | 283.327 | 68,8 | 1,9 |
2011 | 436.210 | 308.421 | 70,7 | 2,0 |
2012 | 464.066 | 338.371 | 72,9 | 2,2 |
2013 | 497.433 | 371.335 | 74,7 | 2,4 |
2014 | 512.198 | 388.093 | 75,8 | 2,5 |
2015 | 536.121 | 414.698 | 77,4 | 2,7 |
2016 | 525.595 | 404.836 | 77,0 | 2,6 |
2017 | 544.090 | 421.593 | 77,5 | 2,7 |
2018 | 559.419 | 411.033 | 73,5 | 2,6 |
2019 | 561.969 | 412.711 | 73,4 | 2,6 |
2020 | 564.110 | 414.305 | 73,4 | 2,6 |
2021 | 588.780 | 432.995 | 73,5 | 2,7 |
Sept 2021 | 579.095 | 426.500 | 73,6 | - |
Juni 2022 | 628.570 | 445.720 | 70,9 | - |
Sept 2022 | 647.515 | 448.510 | 69,3 | - |
* Jahresende ** RAG = Regelaltersgrenze Quelle: DESTATIS, DRV, eigene Berechnungen |
Die Anzahl der Rentnerinnen und Rentner, die Leistungen der Alters-Grundsicherung beziehen, steigt aber seither kontinuierlich an. Angesichts des Altersaufbaus der Bevölkerung ist dies allerdings nicht überraschend. Der Anteil der Rentnerinnen und Rentner mit GruSi-Bezug an allen Inlandsrenten wegen Alters ab der Regelaltersgrenze ist über die vergangenen Jahre deshalb auch relativ stabil geblieben.
Die starke Zunahme im September 2022 gegenüber dem Vorquartal bzw. gegenüber September 2021 ist nicht in der Hauptsache auf die zunehmende Verarmung älterer RentenbezieherInnen zurückzuführen – sie hat andere Ursachen. Der Zuwachs an Grundsicherung beziehenden Älteren betrug insgesamt 68.420 Personen oder 11,8 Prozent (Sept 2022 zu Sept 2021).
- Bei den Personen mit Altersrentenbezug betrug der Zuwachs 5,2 Prozent – bei den Personen ohne Altersrentenbezug waren es 30,4 Prozent.
- Damit entfielen vom Gesamtzuwachs lediglich 32,2 Prozent oder 22.010 Personen auf Fälle mit einer als Einkommen anrechenbaren Altersrente – die Fälle ohne anrechenbare Altersrente machen demgegenüber vom Gesamtzuwachs 67,8 Prozent oder 46.410 Personen aus.
Der Anteil der Grundsicherung Beziehenden mit einer als Einkommen angerechneten Altersrente sank dementsprechend auf zuletzt 69,3 Prozent (vgl. Tabelle). Zurückzuführen ist der Anstieg der Gesamtzahl an Grundsicherung Beziehenden wohl hauptsächlich auf die Einbeziehung aus der Ukraine geflüchteter Personen (i.d.R. ohne anrechenbaren Altersrentenbezug) in die Leistungsberechtigung nach SGB XII ab 1. Juni 2022.