Wo der Mindestlohn nicht reicht

Wo der Mindestlohn nicht reicht

8,50 Euro pro Stunde schützen Vollzeitbeschäftigte oftmals nicht vor »Hartz IV«

Berlin, 19. März 2014 | »Gute Arbeit muss […] existenzsichernd sein«, so steht es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Deshalb soll ab 2015 bzw. 2017 ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro eingeführt werden.

Viele glauben, dies reiche rechnerisch aus, damit kinderlose Alleinstehende in Vollzeit aus der Leistungsberechtigung nach SGB II (»Hartz IV«) herauswachsen können. Diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Wie eine Auswertungen der Grundsicherungsstatistik durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) für die Bundestagsfraktion DIE LINKE belegt, kämen über 40 Prozent aller Singles im »Hartz-IV«-Bezug selbst dann nicht über das Grundsicherungsniveau hinaus, wenn sie eine Vollzeitbeschäftigung zu einem Stundenlohn von 8,50 Euro hätten. Die Ursache: Der anvisierte Mindestlohn ist schon heute zu niedrig, um die steigenden Mieten und Heizkosten (KdU) zu decken. Die nämlich dürften bei Mindestlöhnern mit Vollzeitjob nicht mehr als 345 Euro betragen. Tatsächlich aber liegen sie im Westen bei fast jedem zweiten Single mit »Hartz-IV«-Bezug über diesem Grenzwert.

Alleinstehende »Hartz-IV«-Bezieher mit Wohnkosten von mehr als 345 Euro
– Anteil an allen alleinstehenden »Hartz-IV«-Beziehern –


 
 

Ein Stundenlohn von 8,50 Euro ergibt bei einer durchschnittlichen tariflichen Wochenarbeitszeit von 37,7 Stunden (Vollzeit) ein Monats-Brutto von 1.388 Euro. Bei Steuerklasse I/0 gehen hiervon 352 Euro an Lohnsteuer und Sozialbeiträgen ab – unterm Strich verbleibt also ein Monats-Netto in Höhe von 1.036 Euro.

Dem gegenüber steht der SGB-II-Bedarf von Alleinstehenden. Er setzt sich zusammen aus dem monatlichen Regelbedarf (Stufe 1) von derzeit 391 Euro sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung; zu berücksichtigen ist zudem ein Erwerbstätigen-Freibetrag von 300 Euro, der nicht auf die Grundsicherung angerechnet wird.

Zieht man vom Nettolohn (1.036 Euro) den Regelbedarf (391 Euro) sowie den Erwerbstätigenfreibetrag (300 Euro) ab, so verbleibt ein Rest von 345 Euro. Diese 345 Euro stecken den Spielraum ab für die Kosten der Unterkunft und Heizung: Liegen die Wohnkosten oberhalb von 345 Euro, so können Alleinstehende die »Hartz-IV«-Abhängigkeit mit einem Mindestlohn von 8,50 Euro nicht überwinden. Sie hätten trotz Vollzeitjob weiterhin Anspruch auf aufstockende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Dass es sich hierbei keineswegs um eine kleine Personengruppe handelt, zeigen die BA-Zahlen: Bei vier von zehn alleinstehenden Grundsicherungs-Empfängern, das waren rund 740.000 Bedarfsgemeinschaften (BGs), lagen die tatsächlichen KdU im Juli 2013 oberhalb von 345 Euro – in den alten Ländern einschließlich Berlin sogar bei fast jedem Zweiten.

Nach Berechnungen der Bundesregierung fällt der Personenkreis, für den der Mindestlohn von 8,50 Euro nicht reicht, sogar noch größer aus. Denn laut ihrer Antwort vom März diesen Jahres auf eine schriftliche Frage des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE) beträgt der Spielraum für die KdU nur rund 335 Euro - also 10 Euro weniger als in der obigen Rechnung.

Fazit: Soll der Mindestlohn die Aufstockung von Erwerbseinkommen durch Leistungen der Grundsicherung strukturell vermeiden, so muss dessen Höhe deutlich oberhalb von 8,50 Euro liegen.

Single-Bedarfsgemeinschaften
mit tatsächlichen Wohnkosten von mehr als 345 Euro - Juli 2013 -
Gebiet Single-BGs
insgesamt
Single-BGs mit
tatsächlichen
Wohnkosten
von mehr als 345 €
Anteil
[3] an [2]
in Prozent
[1] [2] [3] [4]
Deutschland 1.793.606 738.061 41,1
West (mit Berlin) 1.346.324 643.028 47,8
Ost (ohne Berlin) 447.282 95.033 21,2
SH 63.660 28.570 44,9
HH 56.857 34.997 61,6
NI (1) 160.382 73.804 46,0
HB 28.335 14.456 51,0
NW (2) 428.893 196.961 45,9
HE 105.596 52.296 49,5
RP 58.350 22.046 37,8
BW (3) 108.985 50.212 46,1
BY 124.673 58.364 46,8
SL 23.511 10.197 43,4
BE 187.082 101.125 54,1
BB 87.827 24.361 27,7
MV 63.853 15.523 24,3
SN 138.884 23.560 17,0
ST 95.786 19.401 20,3
TH 60.932 12.188 20,0
(1) ohne Oldenburg (Kreis), (2) ohne Steinfurt, (3) ohne Stuttgart
Quelle: BA sowie eigene Berechnungen