Neuabgrenzung beitragspflichtiger Entgelte

Wird das Sicherungsniveau vor Steuern endgültig unbrauchbar?

Rentnererwerbstätigkeit erhöht das Rentenniveau

Johannes Steffen | November 2020

Wird das offiziell ausgewiesene Rentenniveau – Sicherungsniveau vor Steuern (SvS) – ab kommendem Jahr zum »Fake-Maß«? Einiges deutet darauf hin. Die Daten im neuen Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung geben einen Eindruck davon, wohin die Reise gehen könnte, wenn die Legislative nicht rechtzeitig vor der Rentenanpassung 2021 eine Korrektur vornimmt.

Mit dem RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz hat der Gesetzgeber für die Jahre 2019 bis 2025 eine untere Haltelinie beim Rentenniveau eingezogen. In diesem Zeitraum ist bei jeder Rentenanpassung zu garantieren, dass das rechnerische Verhältnis von verfügbarer Standardrente zu verfügbarem Durchschnittsentgelt mindestens 48 Prozent erreicht. Um die Einhaltung dieser Niveau-Schutzklausel rechentechnisch ohne Ermessensspielraum und eindeutig nachvollziehbar überprüfen zu können, musste die Berechnung des SvS auf eine neue Grundlage gestellt werden.

Die verfügbare Standardrente entspricht seither dem zwölffachen Juli-Betrag der Regelalters-Vollrente aus 45 Entgeltpunkten – abzüglich der von den Rentnerinnen und Rentner zu tragenden (durchschnittlichen) Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.

Das verfügbare Durchschnittsentgelt (vDE) wurde in einem recht speziellen Berechnungsverfahren für 2018 auf einen Betrag von 32.064 Euro festgelegt [1]. Damit war auf Grundlage der neuen Berechnung – wie zuvor auch – ein SvS in Höhe von 48,1 Prozent (2018) gewährleistet. Seither wird dieser artifizielle Wert jährlich mit dem Lohnfaktor der Rentenanpassungsformel sowie der Veränderung der Nettoquote des Arbeitsentgelts (NQA) fortgeschrieben. Die Nettoquote des Arbeitsentgelts wird ermittelt, indem vom Wert 100 Prozent die von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu tragenden Anteile an den Beitragssätzen zur Sozialversicherung abgezogen werden. Wegen des steigenden Zusatzbeitragssatzes sinkt die Nettoquote 2021 leicht:

Fortschreibung des verfügbaren Durchschnittsentgelts

vDEVO = verfügbares Durchschnittsentgelt lt. Rentenwertbestimmungsverordnung,
BEVGR = Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer lt. VGR,
bBEDRV = beitragspflichtige Bruttolohn- und -gehaltssumme je durchschnittlich beschäftigten Arbeitnehmer lt. Versichertenstatistik der DRV Bund,
NQA = Nettoquote des Arbeitsentgelts

VGRt bzw. DRVt meint den Datenstand zum Zeitpunkt der Neuberechnung
VGRt-1 bzw DRVt-1 meint die Daten aus der Rentenwertbestimmungsverordnung des Vorjahres

Der Lohnfaktor greift zurück auf die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer nach den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (BEVGR) im Vorjahr zum vorvergangenen Jahr. Die Größe BEt-2 wird zudem mit dem Faktor gewichtet, der dem Verhältnis der Veränderung der VGR-Entgelte zur Veränderung der beitragspflichtigen Entgelte (bBEDRV) entspricht – jeweils im vorvergangenen Kalenderjahr gegenüber dem dritten zurückliegenden Kalenderjahr. So ist gewährleistet, dass sich der Lohnfaktor mittelfristig stets auf dem Entwicklungspfad der (immer zeitverzögert vorliegenden) beitragspflichtigen Entgelte bewegt.

Vor dem Hintergrund der Debatten im Vorfeld des Flexirentengesetzes (2017), die einen Mangel an Daten zur Beschäftigung von beitragspflichtigen Personen mit Vollrentenbezug jenseits der Regelaltersgrenze offenbarten, hat die DRV Bund die Abgrenzung der beitragspflichtigen Entgelte in ihrer Versichertenstatistik inzwischen angepasst. Erfasst werden nun erstmals beitragspflichtig, aber versicherungsfrei Beschäftigte mit einem Altersvollrentenbezug ab der Regelaltersgrenze. Es handelt sich dabei um gut eine Million Personen jenseits der Regelaltersgrenze – darunter ca. 880.000 Mini-Jobber, also deutlich mehr Beschäftigte mit sehr geringem Entgelt. Infolgedessen fällt das durchschnittliche beitragspflichtige Entgelt 2019 durch die Daten-Revision um rund zwei Prozent geringer aus.

Nach geltendem Recht muss bei der Rentenanpassung 2021 für den Wichtefaktor der revidierte Wert für das Jahr 2019 (t-2) verwendet werden, während für 2018 (t-3) der unrevidierte Wert aus der Rentenwertbestimmungsverordnung 2020 heranzuziehen ist (vgl. Formel). Dieser rechnerische Effekt ist für die Rentenanpassung 2021 wirkungslos, da ohnehin eine Nullrunde anstehen dürfte und auch die Verrechnung mit (später) positiven Anpassungen bis 2025 ausgesetzt ist (deaktivierter Nachholfaktor). Der Effekt wirkt aber auf das Rentenniveau und weist dieses nach den Modellannahmen der Bundesregierung künftig um rund einen Prozentpunkt höher aus als ohne den Revisions-Effekt.

SvS-Revisionseffekt

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Vermeiden ließe sich die irreführende »Aufhübschung« des Niveaus durch eine rechtzeitige gesetzliche Änderung. Für die Anpassung 2021 müsste das (revidierte) durchschnittliche beitragspflichtige Entgelt für 2019 im Nenner des Wichtefaktors ausnahmsweise nicht zu dem (unrevidierten) Wert für 2018 aus der Vorjahresverordnung ins Verhältnis gesetzt werden, sondern zu dem der DRV Anfang 2021 vorliegenden revidierten Wert für 2018 (grau unterlegter Formelteil: DRVt-1 durch DRVt ersetzen).

Ein Praxisbeispiel lieferte kürzlich die Revision der VGR-Entgelte durch das Statistische Bundesamt im Jahr 2019. Um den mit einer solchen Revision für die folgenden Rentenanpassungen stets verbundenen »Jo-Jo-Effekt« auszuschalten, wurde die Bezugnahme für die Messung der Veränderung der VGR-Entgelte im Lohnfaktor gesetzlich neu bestimmt: War bis dahin für das vorvergangene Jahr ebenfalls auf den Wert der Vorjahresverordnung abzustellen, so ist seither der Wert heranzuziehen, der dem Statistischen Bundesamt zu Beginn des jeweiligen Anpassungsjahres vorliegt (grau unterlegter Formelteil: VGRt statt zuvor VGRt-1).

[1] Zu Details vgl. Neue Berechnung des Rentenniveaus mehr

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