Beschluss der 78. ASMK

78. Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) am 07./08. November 2001 in Potsdam

TOP 7.2
Strukturreform der Sozialhilfe - Stärkung der aktivierenden Leistungen

- Antrag Nordrhein-Westfalen, Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein -

Beschluss

Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder stellen fest, dass der im Rahmen der 77. ASMK beschlossene Leitantrag zur Sozialhilfe („Konzertierte Aktion zur Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit") wichtige Impulse zur Diskussion und Weiterentwicklung des Modernisierungs- und Veränderungsprozesses in der Sozialhilfe gegeben hat. Es zeigt sich, dass Länder und Kommunen bereit sind, nach neuen Ideen und Wegen in der Sozialhilfe zu suchen, kommunale Aktivitäten und Angebote zu stärken, sie intensiver und zielgenauer zu nutzen, besser zu verzahnen und Hilfe möglichst aus einer Hand zu erbringen. Inzwischen besteht über die Ziele des Leitantrages weitgehend Konsens, insbesondere darüber, dass Sozialhilfe nicht nur die effiziente Abwicklung von Zahlungsvorgängen darstellt, sondern eine notwendige und im Einzelfall sehr komplexe soziale Dienstleistung ist. Die in den Ländern und Kommunen praktizierten Ansätze zur Weiterentwicklung und Modernisierung der Sozialhilfe sind bereits Elemente einer Strukturreform der Sozialhilfe. Darüber hinaus macht insbesondere die Diskussion über die Weiterentwicklung des Sozialstaates deutlich, dass die zukünftige sozialpolitische Aufgabenstellung des Staates einschließlich der Verantwortung für die existentielle Absicherung im Rahmen der Sozialhilfe neu definiert werden muss.

In diesem laufenden Prozess der Weiterentwicklung der Sozialhilfe zeichnet sich bereits jetzt ab, dass diese Ansätze vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Rechtslage „Stückwerk" bleiben, wenn nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen entsprechend geändert werden.

Dazu gehört,

  • die aktivierenden Hilfen gegenüber passiven Leistungen in den Vordergrund einer modernen Sozialpolitik zu stellen („Fördern"),

  • abgestimmte „Hilfen aus einer Hand" für die vielfältigen prekären Lebenssituationen anzubieten bzw. zu organisieren,

  • Hilfeberechtigte im Bereich der aktivierenden Hilfen als Kooperationspartner zu begreifen, die verbindlich und aktiv in den Hilfeprozess mit einzubeziehen sind und Verantwortung für den Erfolg der Hilfe übernehmen müssen („Fordern"),

  • die passiven Leistungen und damit die Verwaltung zu vereinfachen (z.B. durch Pauschalierung) und gleichzeitig die Selbstverantwortung der Hilfeberechtigten zu stärken,

  • besondere Hilfen zur Überwindung von Sozialhilfebedürftigkeit von Frauen sicher zu stellen,

  • zu vermeiden, dass Familien allein wegen ihrer Kinder sozialhilfebedürftig werden und die Wirksamkeit von Hilfen und Maßnahmen zu überprüfen, die Maßnahmen für Erwerbsfähige zielgenauer zu formulieren und notwendige Steuerungs- und Evaluationsinstrumente zu entwickeln sowie generell die Datenstruktur im Hinblick auf zeitnahe Sozialplanung zu verbessern.

In den allgemeinen Bestimmungen des BSHG ist noch wesentlich klarer herauszuarbeiten, dass z.B.

  • Ziel jeder Maßnahme der Sozialhilfe sein muss, die Fähigkeit des Hilfeempfängers zur Selbsthilfe zu fördern und seine Selbstständigkeit und Eigenverantwortung mit dem Ziel der Überwindung der Sozialhilfebedürftigkeit zu stärken,

  • die persönliche Hilfe an arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger vorrangig das Ziel der Eingliederung in den Arbeitsmarkt verfolgen muss, insbesondere schon durch eine gezielt Erstberatung alle Möglichkeiten zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu prüfen sind.

Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder fordern die Bundesregierung auf, eine Strukturreform zur Weiterentwicklung und Modernisierung der Sozialhilfe mit den vorgenannten Inhalten auf den Weg zu bringen. Da diese Reform auf Erkenntnisse aus bereits abgeschlossenen Projekten und Initiativen sowie noch laufenden Modellvorhaben des Bundes und der Länder gestützt werden kann, bietet sich die große Chance, auf der Basis der Erfahrungen mit den Modellprojekten einen breiten politischen Konsens für eine grundlegende Reform der Sozialhilfe unmittelbar zu Beginn der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages zu erreichen. Gleichzeitig sind die notwendigen grundlegenden Reformen zur Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe in Angriff zu nehmen, wie sie bereits mit dem Leitantrag der 77. ASMK vom 25./26. Oktober 2000 gefordert worden sind. Zusätzliche finanzielle Belastungen der Kommunen dürfen dadurch nicht entstehen.

Begründung

Der demografische Wandel, das Entstehen neuer Erwerbsbiografien sowie veränderte Qualifikationsanforderungen stellen Herausforderungen dar, denen sich der Sozialstaat aktiv stellen muss, um Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe zu verbessern und die Ursachen von Armut und Ausgrenzung und hier insbesondere die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Als aktiver und aktivierender Staat muss er die Selbsthilfekräfte seiner Bürgerinnen und Bürger fördern und stärken. Dies gilt auch für die Sozialhilfe. Dabei geht es nicht nur darum, das Existenzminimum zu sichern, sondern Sozialhilfeberechtigte auch durch persönliche Unterstützung und Begleitung in die Lage zu versetzen, sich frühzeitig wieder selbst zu helfen und unabhängig von öffentlicher Hilfe ein Leben in Menschenwürde zu führen.

Sozialhilfe muss unter dem Aspekt "Förden" als eine soziale Dienstleistung mit neuen Akzenten entwickelt werden. Gleichzeitig sind Verwaltungsstrukturen und Hilfeangebote verschiedener Träger aufeinander abzustimmen, um individuell zugeschnittene und passgenaue Angebote zur Überwindung und Vermeidung von Sozialhilfebedürftigkeit zu ermöglichen. Damit qualifiziert und kompetent gefördert werden kann, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen für diese personenbezogene Dienstleistung weiterentwickelt werden. Personen in prekären Lebenssituationen sind dabei stärker als bisher in die Planung und Durchführung von Angeboten zur Armutsbewältigung mit einzubeziehen. Der notwendige Paradigmenwechsel hin zu einer stärker personenbezogenen Hilfe macht es allerdings notwendig, dass die entsprechenden Ressourcen durch Verwaltungs- und Verfahrensvereinfachungen im Bereich der passiven Leistungen geschaffen werden.

Ziel einer innovativen strukturellen Reform der Sozialhilfe, die die überfällige Einordnung des Bundessozialhilfegesetzes in das Sozialgesetzbuch mit beinhalten sollte, ist somit die Stärkung der aktiven, personenbezogenen Leistungen und die Entwicklung eines einfachen Systems für die gesamte Hilfe zum Lebensunterhalt (Geldleistungen) entsprechend der Position der Konferenz der Obersten Landessozialbehörden zum zukünftigen Bedarfsbemessungssystem in der Sozialhilfe.

15 : 1 (Abstimmungsergebnis)

Protokollnotiz: Mecklenburg-Vorpommern

Mecklenburg-Vorpommern unterstützt die Zusammenarbeit von Arbeits- und Sozialämtern, um nach neuen Ideen und Wegen in der Sozialhilfe zu suchen, kommunale Angebote zu stärken und sie besser zu verzahnen.

Alle Reformen, die geeignet sind, die Arbeitslosenhilfe zu beseitigen, lehnt Mecklenburg-Vorpommern ab.

Stattdessen muss alles unternommen werden, damit für Erwerbsfähige Sozialhilfebedürftigkeit erst gar nicht entsteht und Familien allein wegen ihrer Kinder nicht sozialhilfebedürftig werden. Erforderlich ist auch, dass Arbeitssuchende aus der Sozialhilfe in die Arbeitslosenhilfe zurückgeführt werden und allen Arbeitsuchenden gleichermaßen ein Anspruch auf die Instrumente der Arbeitsmarktförderung gewährt wird.