Irrlicht historischer Höchstrenten

Das Irrlicht vermeintlich historischer Höchstrenten

»Den heutigen Rentnern geht es so gut wie noch nie«

Johannes Steffen | November 2016

Die Kontroverse um eine Stabilisierung beziehungsweise Anhebung des Leistungsniveaus der allgemeinen Rentenversicherung spitzt sich mehr und mehr zu. Ein in diesem Zusammenhang gerne angeführtes Argument lautet: »Den heutigen Rentnern geht es so gut wie noch nie« [1] – so etwa CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Beim Publikum bleibt der Eindruck historischer Höchstrenten zurück, die durchaus einen »kleinen Dämpfer« vertragen könnten. Was ist dran an dieser Behauptung, die die Frontlinie der Auseinandersetzung wieder einmal zwischen den Generationen zieht?

Um die These zu überprüfen, betrachten wir im Folgenden die Entwicklung der Renten westdeutscher Männer mit einem relativ stabilen Versicherungsverlauf. Das sind in diesem Fall Bezieher einer Altersrente für langjährig bzw. (seit 2012) für besonders langjährig Versicherte. Diese Personengruppe verfügt über mindestens 35 beziehungsweise mindestens 45 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten. Langjährig Versicherte (LV) können die Altersrente vorgezogen ab vollendetem 63. Lebensjahr – und seit 2000 unter Inkaufnahme von Abschlägen – in Anspruch nehmen. Besonders langjährig Versicherte (bLV) dürfen seit 2012 abschlagsfrei ab vollendetem 65. Lebensjahr und seit Juli 2014 ab vollendetem 63. Lebensjahr (in den Folgejahren wieder ansteigend auf 65 Jahre) in Altersrente wechseln.

Die Daten der Rentenversicherung liefern über die vergangenen dreieinhalb Dekaden unter anderem folgende Befunde:

  • Seit der Jahrhundertwende bis zum Berichtsjahr 2013 liegen die durchschnittlichen Zahlbeträge der neu zugehenden Renten (bis einschließlich 2011 nur LV) deutlich unterhalb der durchschnittlichen Zahlbeträge im jeweiligen Rentenbestand.
  • Bis 2013 unterschreiten die Zahlbeträge der Zugangsrenten den bereits zur Jahrhundertwende erreichten Wert (absoluter Rückgang). Beim zuletzt stark rückläufigen (in der Grafik nicht separat ausgewiesenen) Zugang an Altersrenten für LV (mit weniger als 45 Versicherungsjahren) lag der Betrag 2015 unterhalb der Werte von Mitte der 1990er Jahre.
  • Der Anstieg der durchschnittlichen Zahlbeträge am aktuellen Rand (Zugang wie Bestand) ist der Altersrente für bLV geschuldet, die seit Juli 2014 bereits ab vollendetem 63. Lebensjahr abschlagsfrei bezogen werden kann; hier finden sich seither auch Rentner, die ansonsten eventuell die abschlagsbehaftete Rente für LV (Mitnahme- beziehungsweise Substitutionseffekt) oder erst später die abschlagsfreie Regelaltersrente in Anspruch genommen hätten.

Unter dem Strich und auf lange Sicht bleibt aber insgesamt ein im Trend deutlicher Anstieg der Zahlbeträge. Diese Entwicklung könnte die Ausgangsthese stützen.

Durchschnittliche Rentenzahlbeträge 1980 - 2015

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Die in der Statistik ausgewiesenen Beträge beziehen sich allerdings stets auf das jeweilige Berichtsjahr und damit auf die aktuellen Rentenwerte und Sozialabgaben zum Zeitpunkt der Erhebung. Um beurteilen zu können, ob es den heutigen Rentnern – alleine wegen ihrer gesetzlichen Rente – so gut wie noch nie geht, müssen die Zahlbeträge der Vergangenheit daher auf ihren heutigen Stand (2015) umgerechnet werden. Denn eine 1996 ausgezahlte Zugangsrente in Höhe von beispielsweise 1.077 Euro entspricht in ihrer Wertigkeit heute 1.311 Euro.

Bei den auf den aktuellen Stand dynamisierten Beträgen (gestrichelte Linien) geht der Trend aber spätestens seit Beginn der 1990er Jahre für Rentenzugang und Rentenbestand deutlich nach unten. Frühere Bestandskohorten erreichten mit ihrer Altersrente also einen durchweg höheren Sicherungsstandard als heutige Bestandskohorten. Die Ursachen sind vielfältiger Natur – kumulieren am Ende aber alle in einer im Durchschnitt geringeren Summe an persönlichen Entgeltpunkten.

Gilt dieser Befund auch unter Berücksichtigung weiterer Einkommen aus Alterssicherungssystemen? Eindeutig ja; denn nur 30 Prozent aller zuletzt als Arbeiter oder Angestellte Beschäftigten erhalten neben ihrer gesetzlichen Rente noch eine Betriebsrente; davon entfallen 13 Prozentpunkte auf die (Pflicht-) Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes. Lediglich 17 Prozent beziehen zusätzlich eine Betriebsrente aus der Privatwirtschaft. Und für rund zwei Drittel der Grundgesamtheit bildet die gesetzliche Rente die einzige Leistung der Alterssicherung. [2]

Der in diesem Zusammenhang übliche Verweis auf ein doch häufig höheres Haushaltseinkommen geht am Kern der Sache vorbei. Denn schließlich handelt es sich bei der Altersrente um eine mit Beiträgen erworbene individuelle Entgeltersatzleistung, deren Sinkflug sich nicht einfach nach politischem Gusto durch Addition weiterer (Haushalts-) Einkommen »schönrechnen« lässt.

Die Behauptung, es gehe den heutigen Rentnern so gut wie noch nie, setzt offensichtlich ein verteilungspolitisches Irrlicht. Die weitere Abkoppelung der gesetzlichen Rente von der allgemeinen Lohn- und Wohlstandsentwicklung, so das Kalkül, erscheint damit eher vertretbar – und politisch auch leichter durchsetzbar.

[1] Jens Spahn, SPON-Interview v. 27.04.2016 - SPON http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/jens-spahn-zur-renten-debatte-gartenarbeit-erfuellt-die-meisten-nicht-a-1089522.html
[2] Alle Daten nach Alterssicherungsbericht 2016 (Vorabfassung des BMAS), S. 14

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